Ohne Beweis sei hier eine Reihe weiterer Identitäten, die Tangens und
Cotangens enthalten, wiedergegeben. Sie gelten für alle Winkel
a und
b.
tan(-a)
=
-tan a
cot(-a)
=
-cot a
tan(90° - a)
=
cot a
cot(90° - a)
=
tan a
tan(a + b)
=
tan a + tan b
1 - tan a tan b
cot(a + b)
=
cot a cot b - 1
cot a + cot b
.
Die vierte dieser Identitäten
- der Summensatz für den Tangens -
ist besonders interessant. Betrachten wir zwei Geraden wie in der folgenden Sizze:
a ist der
Steigungswinkel der roten Geraden
(d.h. ihr Winkel relativ zur x-Richtung).
b ist der Winkel, um den die
blaue Gerade relativ zur roten
geneigt ist.
Der Steigungswinkel blauen Geraden
(d.h. ihr Winkel relativ zur x-Richtung)
ist dann klarerweise die Summe der beiden Winkel: a + b.
Stellen wir uns nun vor, dass wir die Gepflogenheit haben, anstelle eines
Winkels immer seinen Tangens anzugeben, d.h. Winkeln immer
durch Anstiege ausdrücken:
tan a ist der Anstieg
der roten Geraden.
tan b ist der "Anstieg
der blauen Geraden relativ zur
roten". Das bedeutet: Wird die
rote Gerade als Richtung einer neuen, gedrehten Koordinaten-Achse
(nennen wir sie die x'-Richtung)
aufgefasst, so ist tan b der
in Bezug auf diese x'-Richtung
bezogene Anstieg der blauen Geraden.
Um einen solchen "relativen Anstieg" zu messen, zeichnen wir ein
Steigungsdreieck "relativ" zur x'-Richtung
und geben den relativen Anstieg als Quotient
Dy'/Dx'
an. Dieser ist wiederum nichts anderes als
tan b.
Der Anstieg der blauen Geraden
(im üblichen Sinn, d.h. relativ zur x-Richtung)
ist nun nicht
die Summe der relativen Anstiege, sondern durch die vierte der obigen Identitäten
wiedergegeben:
tan(a + b)
=
tan a + tan b
1 - tan a tan b
.
Sie kann also als "Additions"regel für relative Anstiege
interpretiert werden, wobei die Anführungszeichen ausdrücken, dass
es sich nicht einfach um die Summe handelt, sondern um einen etwas
komplizierteren Ausdruck.
Sind die Winkeln a und b
sehr klein, so ist der Nenner nahe bei 1. In diesem Fall
dürfen wir näherungsweise die gewöhnliche Summe bilden.
Wir können diese Regel auch so formulieren:
Sei k = tan a.
Das ist der Anstieg der der roten Geraden
relativ zur x-Richtung.
Sei k' = tan b.
Das ist der Anstieg der blauen Geraden relativ zur
roten Geraden.
Sei k'' = tan(a + b).
Das ist der Anstieg der blauen Geraden
relativ zur x-Richtung.
Dann ist
k''
=
k +
k'
1 -
kk'
,
und wir könnten diese Größe als
k Å k'
bezeichnen, mit Å als dem Symbol für die
"Addition" von relativen Anstiegen.
Mit dieser Regel ausgerüstet, können wir den Zusammenhang zu den Winkeln "vergessen" und lediglich die
relativen Anstiege verwenden.
Das ist ein Beispiel dafür, dass in der Mathematik die "Addition" von
Objekten (in diesem Fall von relativen Anstiegen) manchmal auf eine etwas
ungewöhnliche - aber durchaus sinvolle - Weise
definiert werden kann. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die
obige Art, relative Anstiege miteinander zu verknüpfen, die grundlegenden Eigenschaften,
die man von einer Addition erwarten würde, besitzt:
Es kommt nicht auf die Reihenfolge
an (in der obigen Regel dürfen k und k'
vertauscht werden).
Bei der "Addition" von drei relativen Anstiegen
kommt es nicht darauf an, welche beiden zuerst "addiert" werden.
(Versuchen Sie, das selbst zu verifizieren!)